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AutorenbildChristine Nöh

Über Nacht


Tiefgreifende Veränderungen geschehen nicht über Nacht.

Dalai Lama


Heute morgen sah ich aus dem Fenster und hatte das Gefühl, dass über Nacht die Bäume sich herbstlich verfärbt haben. Das kann natürlich kaum sein. Es wird eher so sein, dass ich vom schönen Sonnenschein beeindruckt, in den letzten Tagen selten die Bäume genauer betrachtet habe.


Heute ist es etwas trüb und grau und da sehe ich die gelben und braunen Blätter und die Spitzen der Bäume, die sich langsam verfärben. Ist es nicht noch ein bißchen früh dafür? Ich weiß, dass ich jedes Jahr darüber erstaunt bin, wenn der Herbst seine ersten Anzeichen in die Welt sendet.


Mir kommt es so vor, als wäre es erst neulich gewesen, dass ich mich über die frischen hellgrünen Blätter gefreut habe und nun heißt es langsam schon wieder Abschied nehmen. Ich weiß, dass der Winter auch nicht über Nacht kommt, aber jetzt biegen wir gerade in die Kurve ein und bewegen uns auf die nächste lange Strecke zu.


Es erinnert mich an meine Situation in der Schule. Als ich vor 30 Jahren dort begann, war ich die jüngste Kollegin im Kollegium. Diese frische und jugendliche Gefühl hat mich viele Jahre nicht verlassen, bis ich jetzt gemerkt habe, dass ich jetzt selbst Kolleginnen habe, die so alt wie meine Tochter sind. Vielleicht kann ich mir das "frisch" noch ein kleines bißchen bewahren, mit dem "jung" muss ich aber der Realität in die Augen sehen.


Man lebt Tag für Tag, Jahr um Jahr und plötzlich sieht man in den Spiegel, als sähe man sich das erste mal und man wundert sich, wann denn der Herbst des Lebens begonnen hat, Zeichen in unser Gesicht zu malen.


Aber der Sommer ist noch nicht vorbei, auch wenn die Blätter sich verfärben und ich bin auch noch nicht bereit, mich nicht mehr jung zu fühlen. Was uns alt macht, sind nicht die Falten im Gesicht, sondern die Steifheit unseres Denkens und ich denke, dass ich da, noch ziemlich elastisch bin.


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